Biografie
Prof. Dr. Manfred Hesse
22. März 1935 bis 2. Oktober 2011
Weimar und Mühlhausen in Thüringen waren die Orte, in denen Manfred Hesse aufwuchs und die Schulen besuchte. Mit dem Maturitätszeugnis der neusprachlichen Abteilung der Oberschule Mühlhausen immatrikulierte er sich im September 1953 an der mathematisch-naturwissenschaftlichen Abteilung der Humboldt-Universität in Berlin für das Hauptfach Chemie. Nach zwei Jahren wechselte er an die Freie Universität Berlin, wo er 1958 das Diplomexamen im Hauptfach Chemie ablegte. Noch im gleichen Jahr setzte er sein Studium an unserer Universität fort mit dem ursprünglichen Ziel am organisch-chemischen Institut bei Nobelpreisträger Paul Karrer in Naturstoffchemie zu promovieren. Doch Karrer trat 1959 in den Ruhestand, so dass Manfred Hesse seine Promotionsarbeit schliesslich bei Hans Schmid, dem Nachfolger Karrers in der Direktion des organisch-chemischen Instituts, auf dem von Karrer und Schmid gemeinsam erforschten Gebiets der Indolalkaloide, insbesondere der Calebassen-Alkaloide, abschloss. Die Promotion erfolgte 1962 mit Beiträgen zur Struktur der Toxiferine, des C-Curarins I und des C-Calebassins.
Die Naturstoffchemie und das organisch-chemische Institut, das Karrersche Institut wie es nach allgemeinen Sprachgebrauch des alten Instituts an der Rämistrasse 76 hiess, prägten den weiteren Weg von Manfred Hesse als Forscher und Menschen. 1966 erfolgte die Habilitation an der Philosophischen Fakultät II der Universität Zürich mit einer Arbeit über das massenspektroskopische Verhalten quartärer Stickstoffverbindungen und darauf, 1969, die Ernennung zum Assistenzprofessor. 1973 folgte die Ernennung zum Extraordinarius und schliesslich 1982 die zum Ordinarius. Anfang der 80er Jahre hatte er einen Ruf auf die Lehrkanzel für Lebensmittel- und Naturstoffchemie der Universität Wien abgelehnt. Einen besonderen Verdienst erwarb sich Manfred Hesse mit dem Aufbau einer massenspektroskopischen Abteilung am organisch-chemischen Institut Anfang der 60er Jahre. Die Forschungsarbeiten dieser Abteilung fanden schnell Aufmerksamkeit dank ihrer hohen Qualität und machten Manfred Hesse zu einem international anerkannten Forscher auf dem Gebiet der massenspektroskopischen Strukturaufklärung.
Die intensive Beschäftigung mit Indol- und Polyaminalkaloiden führte zu chemotaxonomischen Untersuchungen verschiedener Pflanzenfamilien und vielen Ausflügen in die synthetische und mechanistische organische Chemie. Ein herausragendes Ergebnis dieser Forschungen ist die Entwicklung einer multiplen Ringerweiterungsreaktion, die unter dem Namen Zip-Reaktion als Terminus technicus in die chemische Fachliteratur eingegangen ist und unauflösbar mit dem Namen von Manfred Hesse verbunden bleibt. Die Reaktion erlaubt den Aufbau grossgliedriger Polyaza-Ringverbindungen nach dem Reissverschlussprinzip.
Die wissenschaftlichen Arbeit von Manfred Hesse hat sich in gut 400 Originalpublikationen und Übersichtsartikeln niedergeschlagen – darunter auch solche, die chemiehistorischen Themen gewidmet sind und sich mit der Chemie zur Zeit der Aufklärung beschäftigen. Ein besonderes Vermächtnis sind sein sich an ein breiteres Publikum wendendes Buch „Alkaloide – Fluch oder Segen der Natur“, das auch in englischer Übersetzung vorliegt und sein mit Herbert Meier und Bernd Zeeh konzipiertes Lehrbuch „Spektroskopische Methoden der organischen Chemie“, das Ende letzten Jahres in 8. Auflage erschienen ist und in 6 Kultursprachen übersetzt wurde, darunter Japanisch und Koreanisch.
Manfred Hesse war ein wunderbarer aufrichtiger Kollege und Hüter unseres Instituts, (zu dem in den 80er und 90er Jahren auch ein unerlässliches Gewächshaus gehörte, auf seinen Wunsch hin aufgesetzt dem Dach des Institutsgebäudes) und der Inbegriff eines Naturforscher und in diesem Sinne Menschen, Tieren und Pflanzen in gleicher Weise zugetan.
Hans-Jürgen Hansen