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Institut für Chemie

Zweisprachige Viren überlisten Bakterien

Zweisprachige Viren überlisten Bakterien

Seit über 20 Jahren beschäftigt sich die Forschungsgruppe von Prof. Roland Sigel am Institut für Chemie der UZH mit Ribonukleinsäuren, kurz RNA. RNA kodiert den Bauplan für die Eiweisse von Mensch und Tier. Diese Bausteine können jedoch unterschiedlich interpretiert werden, wie wenn zwei Sprachen die gleichen Buchstaben verwenden. Im menschlichen Darm wurden vor kurzem Viren entdeckt, die zweisprachig sind und den Wechsel zwischen den Sprachen nutzen, um ihren Wirt (das Bakterium) auszutricksen. Dank der interdisziplinären Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe von Prof. Christian von Mering vom Schweizerischen Institut für Bioinformatik und vom Institut für Molekulare Biologie der UZH konnten neue Erkenntnisse darüber gewonnen werden, welche RNA-Sequenzen die Zweisprachigkeit unterstützen könnten. Diese Ergebnisse geben einen Einblick in die Regulation der Darmflora und könnten somit für das Gleichgewicht der Darmflora und die Darmgesundheit von Bedeutung sein.

Viren und Bakterien im Darm
Im menschlichen Darm leben Milliarden von Bakterien und Bakteriophagen. Bakteriophagen sind Viren, die ausschliesslich Bakterien befallen. Der Kampf zwischen Bakterien und Phagen ist älter als die Menschheit selbst. Entsprechend hoch entwickelt sind die Abwehrsysteme auf beiden Seiten. Ein Abwehrsystem der Phagen ist die „Zweisprachigkeit“. Das Virus dringt in das Bakterium ein und übernimmt die Sprache des Bakteriums. Im späteren Verlauf können die Viren den genetischen Code, also die „Sprache“, wechseln und so das Bakterium zerstören. Der Antwort auf die Frage, wie der Sprachwechsel genau funktioniert, konnten die beiden Forschungsgruppen einen Schritt näherkommen.

RNA – Information und Funktion
Spätestens seit der Covid-Pandemie dürftet RNA vermutlich vielen Menschen ein Begriff sein. Die gegen die Corona-Viren entwickelte RNA-Impfung macht sich die Eigenschaften der RNA als Informationsträger zunutze. RNA wird als „Bauplan“ in den Körper eingeschleust, die Zellen produzieren mit Hilfe der RNA das virale Antigen, das wiederum die Immunantwort im Körper auslöst. Jedoch sind nicht alle RNAs Informationsträger, lediglich ein kleiner Prozentsatz kodiert Information, der weitaus grössere Anteil der RNAs speichert keinerlei Information. Die Frage ist also: Wozu dient dann diese RNA?
Bekannt ist, dass sich RNAs in 3D Strukturen falten und so chemische Reaktionen ausführen können. Diese Strukturen nennt man Ribozyme (Ribonukleinsäure Enzyme). Die Forschungsgruppen von Prof. Sigel und Prof. von Mering haben nun mit einer computerunterstützten Suche in genetischen Datenbanken kleine Ribozyme identifiziert, die stets neben transfer-RNAs (tRNAs) lokalisiert sind. Wird eine bestimmte Art von tRNA freigesetzt, kann der Bakteriophage die Sprache wechseln. „Wir konnten nachweisen, dass die von uns identifizierten Ribozyme tRNAs im Reagenzglas freisetzen können, und damit wahrscheinlich in den Bakterien den Sprachwechsel der Bakteriophagen unterstützen könnten“, erläutert Kasimir
Kienbeck, Doktorand in der Forschungsgruppe von Prof. Sigel. „Interessanterweise finden wir diese Ribozyme fast ausschliesslich in Bakteriophagen, die aus dem Darm von Menschen und Säugetieren stammen.“
„Unsere Resultate erweitern das Wissen über die biologischen Funktionen von Ribozymen. Zusätzlich konnten wir einen bislang unbekannten Faktor identifizieren, der den „Sprachwechsel“ der Bakteriophagen im menschlichen Darm unterstützen könnte,“ fassen Kasimir Kienbeck und Lukas Malfertheiner die Forschungsergebnisse zusammen.

Putative phage infection cycle involving tRNASup-associated Θrzs. A gut bacterium of the Bacteroidota or Bacillota phylum is infected by a recoded Caudoviricetes bacteriophage, which can initiate the lysogenic or lytic cycle. In the lysogenic cycle, the phage genome is integrated into the host genome and host-encoded machinery replicates the host cell including the integrated phage. A not fully understood mechanism triggers the lytic cycle (lightning symbol). Phage encoded tRNASup, possibly regulated by associated Θrzs, enable the translation of recoded lysis and structural proteins (enlarged box). An attempt to produce these proteins using host-encoded tRNAs and aminoacyl synthetases (aaRS) would lead to gene fragmentation (in-frame amber stop-codons). In the last phase of the lytic cycle, phage particles self-assemble, the host cell is lysed, and phage particles are released, leading to a new infection cycle. Polymerase: pol. Colors: Host DNA/proteins: blue; phage DNA/RNA/proteins: red.

Kienbeck, K., Malfertheiner, L., Zelger-Paulus, S. et al. Identification of HDV-like theta ribozymes involved in tRNA-based recoding of gut bacteriophages. Nat Commun 15, 1559 (2024).
https://doi.org/10.1038/s41467-024-45653-w